Gedanken und Artikel zum Thema Trauer
Neulich sagte eine Klientin zu mir: „Ich gehe sehr gerne mit meinen Enkeln auf den Friedhof zum Grab meines Mannes. Meine Enkel haben einen so leichten Umgang mit dem Tod ihres Opas. Sie schicken eine Kusshand in den Himmel und wünschen lautstark ihrem Opa alles Gute zum Geburtstag und sind sich sicher, dass er auf einer Wolke sitzt und herunter blickt. Gerne würde ich auch so unbeschwert mit dem Tod meines Mannes umgehen können und ein festes Bild davon haben, dass mein Mann im Himmel ist und von dort aus zuschaut.“
Für eine andere Frau, mit der ich vor einiger Zeit sprach, stellte sich das Bild ganz anders dar: Für sie wären ihre Eltern seit deren Tod einfach tot. Es gäbe hier nichts zu zweifeln. Für sie gäbe es auch kein Leben nach dem Tod. Vielmehr müsse sie mit dem Verlust und Tod der beiden klar kommen.
Für mich sind beide, und eigentlich alle Vorstellungen, wie es nach dem Tod weiter geht, völlig in Ordnung. Jeder Mensch ist individuell und hat seine eigene, für ihn gültige Wirklichkeit und Vorstellungen.
In meinem Webinar vom 13.08.2024 beleuchtete ich diese Frage, was nach dem Tod kommen kann. Hier die Aufzeichnung vom ersten Teil des Webinars.
Sieger Köder
Sollen wir in Beziehung mit verstorbenen Menschen bleiben? Zu diesem Thema hatte ich vor kurzem ein Gespräch mit 2 Frauen. Die eine meinte, es wäre doch gut, die Toten in Ruhe zu lassen und den Tod zu akzeptieren. Die andere entgegnete, dass ihr der Verlust ihres Mannes so viel Schmerz zufügen würde, dass sie sich wünschen würde, ihn (wieder) spüren zu können.
Zwei Ansichten – keine der beiden Ansätze ich gut oder schlecht, besser oder schlechter. Es sind persönliche Ansichten und Umgangsformen mit Tod und Verlust, und beide sind für mich in Ordnung.
Aus meiner Erfahrung in der Begleitung von Menschen in Trauer und auch aus meiner persönlichen Erfahrung möchte ich meine persönliche Sichtweise darstellen: ich beobachte häufig, dass eine Beziehung zu einem verstorbenen Menschen gesucht wird bzw. gut tut. Es ist wohl gemerkt eine Beobachtung, aber auch meine Überzeugung geworden, dass wir über eine Beziehung zu Verstorbenen Heilung erfahren können.
Die Idee, dass wir trotz Tod verbunden sind - wie erleichternd kann das sein?! Doch wie geht das? Wie kann Beziehung zwischen toten Menschen und lebenden Menschen gestaltet werden?
Das Konzept des „Continuing Bonds“ entstand in den 1990er Jahren und wird von Seiten der Trauerforschung als eine sehr unterstützende Form der Trauerbewältigung verstanden.
In meinem Webinar vom 11.06.2024 referiere ich im ersten Teil über Continuing Bonds, also die Gestaltung bzw. Fortführung von Beziehung zu Verstorbenen. Hier die Aufzeichnung (vom ersten, inhaltlichen Teil).
Neulich fragte mich eine Frau, ob es denn in Ordnung sei, dass sie neulich - trotz ihrer großer Trauer um ihren verstorbenen Mann - herzlich über einen Witz lachte.
Sie war sich so unsicher. Was würden die umstehenden Personen sagen, vor allem dann, wenn diese vom Tod ihres Mannes wüssten?
Und überhaupt: Wäre Lachen in Zeiten der Trauer nicht respektlos dem Verstorbenen gegenüber? Müsste sie nicht überwiegend traurig sein?
Meine Frage (an sie zurück) war: Was hätte dein Mann dir gesagt, wenn er dich beim Lachen gesehen hätte?
Ihre spontane Antwort: „Er hätte mir so sehr gewünscht, dass ich wieder Spaß im Leben hätte“
Interessant, oder? Lachen hätte ihr Mann ihr gewünscht. Leichtigkeit wäre der Wunsch an sie gewesen.
Dieser neue Gedanke hat sie gleich darauf sehr entspannt und „leicht“ gemacht (wie sie sagte)
Ich befürworte Humor in der Trauer noch aus einem anderen Grund:
Menschen in Trauer leben in einer Zeit voller Anstrengung und Anpassung an ein neues Leben. Angespanntheit ist die Folge. Und dieses Gefühl der Anspannung braucht irgendwo ein Ventil ….. warum nicht mal lachen?!? 🤗 Es tut so gut, es entlastet und befreit.
Trauer will, besser gesagt, die Gefühle darin wollen gelebt werden. Sie wollen, wie das Leben selbst, einen Ausdruck finden. Lachen ist eine Variante, neben Weinen, Schreien, Toben oder Wüten, etc.
Humor ist Teil der Trauer, und darf nicht verdrängt oder zeitlich verschoben werden. Denn Humor ist Leben. Und dieses Leben will sich - gerade und erst recht in Zeiten der Trauer - ausdrücken.
In Zeiten der Trauer kann es sich anfühlen, als ob wir in einem dichten Nebel gefangen sind, ohne einen klaren Weg vor uns. Der Verlust kann uns oft die Orientierung rauben und uns in einem Gefühl der Einsamkeit zurücklassen. Gerade in diesen dunklen Momenten kann ein Kompass, der uns den Weg weist, von unschätzbarem Wert sein.
Dieser Kompass kann in vielen Formen kommen:
In den Erinnerungen an die gemeinsamen Zeiten: das, was damals von Wohlbefinden geprägt war im Leben mit dem geliebten Menschen, kann uns auch heute ein guter Kompass für Wohlbefinden sein: z. B. die Musik und Kultur genießen, etwas Gutes essen, für andere da sein, schöne Rituale.
In den liebevollen Worten von Freunden und Familie: sie geben Sicherheit, Wertschätzung und eine Ausrichtung.
In den kleinen Dingen, die uns an die Schönheit des Lebens erinnern: die Blume auf dem Tisch, der Marienkäfer, der Schmetterling, die einzelne Rose im Garten.
All das kann uns helfen, den Kurs zu finden, auch wenn der Himmel grau erscheint.
Nimm dir Zeit, um innezuhalten und auf deinen inneren Kompass zu hören:
-> Was gibt dir Halt?
--> Was bringt dir Trost?
--> Lass die Erinnerungen lebendig werden und gib dir die Erlaubnis, zu fühlen – sei es Schmerz, Freude oder beides zugleich. Das, was aktuell hoch kommt, möchte gerade jetzt angeschaut und gefühlt werden.
Ich mag den Essigbaum sehr: Mit seinen leuchtenden Farben und seiner beeindruckenden Widerstandsfähigkeit ist für mich ein schönes Vorbild und Symbol für „Wandel in Schönheit“.
Wenn wir einen geliebten Menschen oder ein geliebtes Haustier verloren haben, mag vieles nicht „schön“ sein, sondern eher anstrengend, tief-traurig und herausfordernd.
Und ja, vieles wandelt und ändert sich: meine Rolle und Funktion, meine Aufgaben, mein Alltag, ggf. mein Umfeld oder meine Werte.
Können diese Veränderungen trotzdem „schön“ sein?
Vielleicht „schön“ nicht im Sinne von „wunderbar und toll“, sondern im Sinne von „würdig, wahrnehmend, intim, wertschätzend“?
Macht eine solche Wortdeutung für dich mehr Sinn? 😊
Der Essigbaum mit seinen tiefroten und purpurfarbenen Blättern im Herbst symbolisiert er für mich nicht nur die Vergänglichkeit, sondern auch die Schönheit des Wandels. Und gerade der Wandel ist ja in Trauer so zentral: so viel verändert sich in dieser Zeit, stirbt, um neu zu wachsen ….
Für mich ist Trauer wie der Herbst, genauso intensiv.
Ich finde: Der Essigbaum kann uns daran erinnern, dass selbst nach den dunkelsten Tagen neues Leben und Hoffnung erblühen können.
Das wünsche ich dir, wenn du in Trauer bist oder eine schwierige Zeit hast. Alles Liebe dir.
Ich mag Hochsitze. Manche sind bereits aus großer Entfernung zu sehen. Andere stehen wie aus dem Nichts plötzlich vor einem.
Und ich gebe zu: der Aufstieg ist nicht immer leicht und nicht immer ratsam. Aber das, was mich oben erwartet, lohnt sich: Aussicht! Auf eine ruhige Wiese, Äcker, Lichtung: eben dort, wo sich das Wild auch gerne aufhält.
Ich mag die Stille dort oben. Tagsüber ist kein Jäger dort zu finden. Und die Atmosphäre dort oben ist für mich wie eine eigene, verborgene Welt.
In Zeiten der Trauer ist vieles oft eng. Wir sehen nicht weit. Der Blick ist eher oft nach hinten gerichtet, auf den Verstorbenen, in Sehnsucht. Und wir sind oft nicht in der Lage, nach vorne oder größer zu blicken. Das ist normal und auch zeitlich noch nicht immer dran.
Aber dann kommt die Zeit, in der ich wieder eine Perspektive in meinem Leben haben will. Ich möchte mich (wieder) auf etwas freuen, ich möchte leben, ich möchte Leichtigkeit und Freude erleben. Ich möchte in Frieden sein mit dem, was ich erfahren habe.
Ausblicke vom Hochsitz geben mir so etwas wie Ruhe, Ausblick und eine Perspektive, welche ich von meinem niedrigen Standpunkt auf die umliegenden Dinge nicht habe. Hochsitze sind für mich eine willkommene Einladung, meinen Betrachtungsstandort leicht zu wechseln.
Ohne euch zu einer Hochsitz-Besteigung zu animieren – denn sie ist, wie gesagt, nicht so ganz ungefährlich – möchte ich euch dazu anregen, andere Aussichtspunkte auszuprobieren, die euch eine neue Perspektive auf euer Leben „da unten“ bieten. Wie zum Beispiel Aussichtsplattformen, Fernsehtürme, Kirchentürme, Hügel und Berge, Aussichtstürme von Wanderheimen und Wandervereinen, Skybars von Hotels, etc. Viele davon sind mit Auto oder Aufzügen leicht zu erreichen. Von dort aus werdet ihr zum einen Weitsicht und eine Draufsicht bekommen und oftmals hilft das, Abstand zum aktuellen Geschehen, zur aktuellen Trauerzeit oder Problem zu kriegen, und ebenso neue Ideen und frischen Mut für neue Wege zu bekommen.
Viel Spaß beim Aufsteigen und Ausschauen!
Überschwemmungen wie diese erinnern mich so sehr an „Überschwemmungen in der Trauerzeit“. Überschwemmungen? Ja!
Von unangenehmen Gefühlen überschwemmt. Gefühle, die plötzlich mit einer so gewaltigen Geschwindigkeit und Mächtigkeit kommen und mich von unten bis oben erfüllen. Gefühle, die geprägt sind von Traurigkeit, Schmerz, Hoffnungslosigkeit, Verzweiflung oder Ohnmacht.
Das zeigt sich in intensiven Gefühlswellen wie zum Beispiel
- Heul-Attacken oder Weinkrämpfe
- Wut-Ausbrüche („um mich schlagen“)
- tiefes Scham- oder Schuldgefühl
- starke Gefühle von Verzweiflung
- stunden- oder tagelanger Rückzug
- massives Gefühl von Ohnmacht oder Opfer-Dasein
- …..
Nicht immer kann ich mich wappnen gegen diese – oft plötzlichen – Gefühls-Überschwemmungen. Ich habe keine Zeit, einen Deich zu errichten oder mich in sichere Gefilde zu bringen. Nicht immer ist die Situation, in der ich mich dann befinde, für diese Überschwemmungen geeignet: am Arbeitsplatz, in Meetings, in öffentlichen Verkehrsmitteln, beim Einkaufen, vor Nachbarn, in einem Gespräch mit meinem Vorgesetzen, etc.
Was kann ich denn tun, wenn ich von starken Trauer-Gefühlen überschwemmt werde und mich zeitgleich beherrschen will?
Es geht nicht. Es ist, wie wenn ein Fluss über die Ufer und Dämme tritt: es gibt kein Halten.Gefühle wollen sich einen Weg bahnen, um den Verlust zu verarbeiten. Gefühle sprengen das Überlaufventil, weil die Macht dahinter zu groß ist. Gefühle sind die Lösung für den Druck, der durch den Verlustschmerz ausgelöst wurde. Gefühle fließen zu lassen ist die einzig intelligente Lösung, die unser Körper von uns verlangt.
Ein Trauernder weint bitterlich vor seinem Chef. Eine Trauernde bricht in der U-Bahn in Tränen aus. Na und! Es ist vielleicht nicht ideal und vielleicht peinlich oder vielleicht mühsam. Aber wir reden hier von Ausnahmesituationen (wie ein Hochwasser), und diese haben ihre eigenen Regeln.
Gefühls-Überschwemmungen sind in der Trauerzeit normal. Aber kein Dauerzustand. Sie werden sukzessive weniger, irgendwann verschwinden sie ganz. So wie das Hochwasser auch kam, so geht es wieder. Ganz sicher.
Abwarten …… ein Klick mit der Kamera ….. und dieses Bild entsteht. Die wuchtig auf dem Felsen aufschlagenden Welle zerbricht in unendliche Tropfen. Sie scheinen wie in der Luft festzukleben.
Ich versuche mich zurück zu erinnern. Wir saßen am Meer und ließen die Wellen wie in einem Film einlaufen. Welche Welle würde wo aufschlagen? Wie hoch würde sie spritzen? Wann würde ich nass werden? Ich konnte Minute für Minute nur zuschauen und war vom Schauspiel begeistert. Und ich war froh, außerhalb zu sitzen und nicht inmitten der Welle zu stecken.
Dieses Foto veranschaulichte mir erneut, welche Kraft in der Welle steckte. Welches Energiepotential muss wohl eine Welle mit sich bringen, frage ich mich.
In der Trauer habe ich immer wieder diese Wellen gespürt. Sie kamen wie aus dem Nichts: Wellen der Trauer, Wellen der Tränen, Wellen der Niedergeschlagenheit. Aber auch Wellen der plötzlichen Freude, Wellen der Dankbarkeit, Wellen der Liebe.
Ich wurde förmlich überwältigt von deren Kraft. Manche drückten mich kurzzeitig und demütigend nieder, und manche hoben mich großmütig nach oben. Gegen sie alle konnte ich mich weder wehren noch mich verstecken. Sie kamen und gingen und ich blieb zurück inmitten des Meers aus kleinen und großen Wellen. Es war nicht so, dass sie mich erdrückten. Aber ich war froh, wenn erdrückende Wellen vorbei rollten. Und ich zweifelte an mir, wenn ich große Gefühle von Liebe und Dankbarkeit spürte, weil ich in Zeiten der Trauer doch gar nicht damit rechnete.
Trauer besitzt eine unbändige Kraft, die wir im bisherigen Leben nur ansatzweise oder in sehr besonderen Situationen wahrnehmen. Diese Kraft der Trauer äußert sich in sehr starken Gefühlen, wie wir sie selten erlebt hatten bzw. erleben: Traurigkeit, Verzweiflung, Hoffnungslosigkeit, Ohnmacht wie auch große Dankbarkeit, Hoffnung, Mut oder tiefe Liebe.
Trauer ist wie ein starker Wellengang am Meer: in diese Wellen werfe ich mich nicht freiwillig hinein. Nein, ich werde vom Leben hinein geworfen. Und es bleibt mir nichts anderes übrig, als mich irgendwie über Wasser zu halten, mit den Wellen leben zu lernen, mitzuschwimmen … bis sich die Wellen wieder beruhigen. Bis zum nächsten Wellengang habe ich Zeit mich zu erholen. Und aus den bisherigen Wellen konnte ich vielleicht folgendes lernen:
- ich habe die Fähigkeit zu schwimmen
- ich kann vielleicht besser schwimmen als ich dachte
- ich gehe nicht unter (obwohl ich das zuerst dachte)
- ich bin resilienter als ich dachte
- es kommen wieder ruhigere Zeiten, in denen ich mich entspannen und ausruhen kann
- das Schwimmen im Meer ist trotz hoher Wellen doch immer noch schön
Ich wünsche euch, dass ihr in Zeiten der schweren Trauer immer wieder die Gewissheit findet, dem Leben zu vertrauen und auf seine guten Absichten zu setzen.
Unser Leben haben wir meist gut strukturiert: Der Alltag und Wochenablauf ist verlässlich, das Finanzielle geregelt, die Versicherungen sind abgeschlossen und sichern uns im Bedarfsfall. Nötige Inspektionen bei Auto oder Heizung sind gemacht und nötige Impfungen durchgeführt.
All das gibt uns Sicherheit. Sie ist wichtig, damit wir in Ruhe und ohne Angst leben können. Sicherheiten sind wie Steine in der Mauer - sie stellen unser Lebensgerüst dar, auf dem wir aufbauen. Je fester die Steine liegen und je mehr es sind, desto sicherer fühle ich mich.
Doch was passiert, wenn ein wichtiger Stein aus der Mauer bricht? Zum Beispiel, wenn ein geliebter Mensch stirbt?
Ich kann mich gut an die Zeit nach dem Tod meiner Frau erinnern. Ich hatte große Angst, dass das Loch, das dadurch entstand, die Mauer zum Einstürzen bringen würde. Ich hatte Angst, dass ein weiterer Stein aus der Mauer brechen würde. Ich wusste zwar, dass meine Mauer stark und stabil gebaut war .... doch würde das ausreichen, um die Mauer aufrecht zu erhalten?
Interessanterweise "hält" die Mauer in den allermeisten Fällen. Wir haben im Laufe unseres Lebens eine große Resilienz - Widerstandskraft und Belastbarkeit - aufgebaut, ohne uns derer immer bewusst zu sein. Viele andere, größere und kleinere Krisen haben wir gemeistert und daraus Fähigkeiten entwickelt, die uns auch in der Trauer helfen.
Der Stein, der raus gebrochen ist, wird in der Regel nie durch einen gleichen Stein derselben Form, Größe und Schönheit zu ersetzen sein. Das wäre zu schön, ist aber fast unmöglich. Stattdessen werden andere Steine in die Lücke kommen, in anderer Farbe und Form oder vielleicht auch mehrere kleinere Steine zugleich. Sie werden die Mauer über die Zeit wieder stabilisieren. Und sicherlich wird die Mauer nicht mehr so geordnet aussehen wie vor dem einschneidenden Verlust. Sie wird ihre "Macken", "Falten" und Ungleichmäßigkeiten haben - aber genau das macht sie aus. Und sie wird auf ihre Weise stabil sein: verwinkelt, verkeilt und fest.
Bei all den Steinen, die wir im Laufe unseres Lebens in unsere Mauer einbauen, kommt es vielleicht nicht immer auf die gleichmäßige Form an. Vielleicht sind viele unterschiedliche Formen, Farben und Gewichte tragfähiger und interessanter: verschiedenartige Freund*innen, unterschiedliche Jobs, diverse Hobbies, verschiedene Reiseziele, eine Offenheit für andere Meinungen und Ansichten, etc.
In Zeiten der Trauer wird sich unsere Mauer unwillkürlich und zu gewissen Teilen umformen. Die Lücke wird neu gefüllt werden mit Anderem, einem anderen Stein oder anderen Steinen sowie Füllmaterial. Wichtig zu wissen ist, dass die Mauer trotz allem Verlust und aller Angst stehen bleibt und sich über die Zeit von selbst repariert. Ihr könnt darauf vertrauen!
Herz-Jesu-Bezirksjungbauernkapelle am Rauschbrunnen bei Innsbruck
Ich besuchte neulich meine Tochter Jana in Innsbruck, wo sie studiert. An einem der Tage wanderten wir auf die nördliche Halbhöhenlage Innsbrucks und rasteten an einer schindelgedeckten Kapelle. Außergewöhnlich schlicht zeigte sich deren äußere und innere Gestaltung. Im Innenraum blätterte ich in einem offen ausgelegten Buch, dessen Leitspruch Dietrich Bonhoeffer prägte: "Dankbarkeit verwandelt Erinnerung in Freude." Ich wurde neugierig - um welche Erinnerungen geht es hier?
Die Kapelle, so wurde beschrieben, wurde von der Jungbauernschaft im Bezirk Innsbruck Stadt und Land in Eigenarbeit errichtet. Sinn und Zweck war, die Kapelle als bleibendes Andenken für alle verstorbenen Mitglieder der Jungbauernschaft sowie als Ort der Erinnerung und Besinnung zu errichten.
Ich wurde stutzig und las weiter: die traurige Statistik ist, dass im Schnitt ein Mitglied der Jungbauernschaft im Bezirk pro Jahr stirbt, ich nehme an, bei der Arbeit in der Landwirtschaft. Beim Blättern durch das Erinnerungsbuch las ich von einigen Todesfällen unter 18 Lebensjahren.
Erst jetzt wurde mir die Bedeutung des sonderbaren Eingangs in die Kapelle deutlich: er ist als Durchbrechung der gleichmäßigen Dachform gestaltet und soll ein Symbol der Wunde sein, die entsteht, wenn ein geliebter Mensch verstirbt.
Wie nah der Tod ist, dachte ich. Gerade raste ich friedlich neben meiner Tochter und wir blicken gemeinsam auf das Inntal. Keinen Gedanke verschwende ich darauf, dass ihr relativ junges Leben enden könnte. Wir sitzen im Windschatten der Kapelle, die genau an jene Todesopfer erinnern soll. Wie schmerzhaft muss es für die Eltern der verstorbenen Jungbauern oder Jungbäuerinnen gewesen sein, überlege ich.
Es gibt kein Gesetz, das Leben, Sterben und Tod berechnen kann. Was wir als mathematisch gebildete Menschen ab und zu machen, ist ein Blick in die Statistik: sie besagt, dass in Deutschland (laut aktuellen Zahlen des Statistischen Bundesamts) Mädchen eine Lebenserwartung von 83,4 Jahren, Jungs eine Lebenserwartung von 78,6 Jahren haben. Sie ist allerdings nur eine Momentaufnahme der Sterblichkeitsverhältnisse der gesamten Bevölkerung und schließt zukünftige Entwicklungen nicht ein. Trotzdem: wenn ich als junger Mensch mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit ein Alter von circa 80 Jahren erreiche, umso mehr ist ein Tod vor dem Erreichen des Erwachsenenalters ungewöhnlich, aber durchaus eine Realität: Unfälle, schwere Erkrankungen, körperliche Behinderungen sind häufige Ursachen.
Mir wird deutlich, wie sehr wir mit einem Schema leben, das Tod in die oberen Jahrzehnte verschiebt. Selten denken wir daran, dass der Tod früher kommen kann. Wir konfrontieren uns nicht mit einem möglichen Ende des Lebens. Dieses Verhalten macht absolut Sinn: wir sparen uns eine Menge an Sorgen und Ängsten, die mit dem Tod zusammen hängen. Wir konzentrieren uns überwiegend auf Lebensmöglichkeiten und Lebensgenuss, was bei manchen Menschen gar in übermäßigem Konsum ausartet. Doch wir verleugnen durch dieses Verhalten die ständige Möglichkeit des Todes. Und ich behaupte: wir nehmen uns dadurch die Chance, den Moment des Lebens im Kern zu genießen.
Nur im Spannungsfeld zum Tod ist das Leben wirklich im Kern spürbar. Wenn ich weiß, dass ich jederzeit sterblich bin, weiß ich den Moment des Lebens zu schätzen. Es gibt in diesem Moment keine Vergangenheit und keine Zukunft, nur das Jetzt. Es ist der einzige Moment, in dem Leben wahrhaftig stattfindet. Alles andere sind Gedanken, die ich zeitlich rückwärts (in die Vergangenheit) oder vorwärts (in die Zukunft) richte. Im Jetzt allerdings lebe ich - hier "spielt die Musik".
Meine Tochter und ich stiegen wieder ins Tal hinab und mitten ins pulsierende Stadtleben hinein. Im Hintergrund ein Krankenwagen, vor uns ein Supermarkt. Das "Leben" hatte uns wieder. Aber ein Gefühl blieb bei mir, nämlich diese große Dankbarkeit, dass ich diesen Wandertag mit meiner Tochter jetzt gerade hatte und genießen konnte.
"Dankbarkeit verwandelt Erinnerung in stille Freude" sagte Bonhoeffer in den Anfangsworten des Erinnerungsbuches in der Kapelle. Ich denke, er passt sehr gut in die Zeit von großen Verlusten und Trauer. Er ist tröstlich. Er weist auf das hin, was trotz des Verlustes bleibt: Erinnerungen. Und er weist auf jene Dankbarkeit hin, die es braucht, um aus dem Schmerz in die Freude zu kommen ...... in eine Freude darüber, dass es diesen Menschen gab, dass ich ein Teil seines Lebens sein durfte, dass mein Leben durch ihn bereichert wurde, dass er etwas Sinnvolles in die Welt brachte, was ich vielleicht weiterführen möchte.
Was ist es bei euch, für das ihr dankbar seid?
Ich wünsche euch von Herzen, dass ihr trotz des Schmerzes um den Verlust immer wieder Dankbarkeit und Freude spüren könnt.
Holzbrücke durchs Schopflocher Moor auf der Schwäbischen Alb
Nach dem Tod eines geliebten Menschen erleben viele eine scharfe Trennung. Es ist, als wäre eine Schlucht geschlagen worden zwischen Leben und Tod, zwischen das alte und das neue Leben, zwischen mir und dem sozialen Umfeld, zwischen Hoffnung und harter Realität.
Brücken verbinden zwei voneinander getrennte Bereiche. In der Natur, in der Stadt, mit Auto oder Bahn finden wir sie häufig vor: Brücken, welche Bäche, große Flüsse oder lange Täler in teils mutigen Höhen und mit gewagten Konstruktionen überqueren. Durch sie können wir kräfte- und zeitsparend vorwärts kommen sowie Risiken bei Ab-und Aufstieg oder gar gewagte Sprünge vermeiden.
Wie können solche Brücken in der Trauerarbeit aussehen?
Da sind zum einen unsere eigenen Ressourcen, die wir einsetzen können, wie Ausdauer, Zuversicht, Mut, Optimismus, Gelassenheit, Kontaktfreudigkeit oder Disziplin, etc.
Ebenso können wir auf externe Ressourcen zugreifen, wie zum Beispiel einen zugewandten Freundeskreis, nette Nachbar*innen, einen verständnisvollen Arbeitgeber, geduldige Kolleg*innen oder empathische Zuhörer*innen.
Wenn wir nachdenken, verfügen wir meist über mehr Ressourcen bzw. Brücken, als wir auf den ersten Blick erkennen. Viele kleine Teile machen eine stabile Brücke. Von daher lohnt es sich, in sich zu gehen und möglichst viele Ressourcen zu sammeln.
Jede Brücke, die ich spanne, erspart mir den Weg durch die Schlucht, durch das Tal der Trauer, wie manche sagen. Dadurch wird der Schmerz nicht unbedingt kleiner, aber ich muss weniger Kräfte aufwenden, um über das Tal zu kommen. Dabei helfen die oben genannten Ressourcen. Es liegt an mir, möglichst viele davon einzusetzen. Viel Erfolg dabei!
Ich werde oft gefragt, ob denn die Äußerung von Freude in der Trauerzeit unangemessen und unanständig sei. Ich finde die Frage völlig legitim. Manchen Menschen erscheint es vielleicht richtig, wenn man in Zeiten der Trauer die irdischen Freuden nicht mehr genießen darf oder soll.
Ich glaube, hier liegt ein Missverständnis vor: wir leben in der Trauerzeit in einem "wilden" Mix aus Gefühlen - starken, neuen, ungeahnten, tiefen Gefühlen. Nicht immer sind diese Gefühle angenehm. So kann mich beispielsweise eine tiefe Verzweiflung oder Hoffnungslosigkeit ereilen, die eine Zeit lang bei mir bleibt. Aber ebenso kann ich eine tiefe Dankbarkeit und Freude empfinden, wie ich sie noch nie zuvor bei mir erlebt hatte. Alle Gefühle haben ihre Berechtigung, und alle gehören zu meiner Trauerzeit. Alle sind ok. Zum Glück oder leider - je nach dem - sind Gefühle meist nicht von langer Dauer: sie wechseln ständig, teilweise im Minutentakt. Und ich kann sie nicht immer steuern.
Meine Empfehlung: wenn ihr in eurer Trauerzeit zeitweise Freude empfindet, egal über was: genießt sie! Freude ist ein wichtiger Ausgleich inmitten von Trauer und Leid. Freude ist ein natürlicher und wichtiger Bestandteil unserer Existenz und unseres Gefühlsspektrums. Und Freude ist eine Erholungszeit inmitten einer anstrengenden Zeit.
Ein Teilnehmer in meiner Trauergruppe berichtete, wie es ihm nach dem Tod seiner Frau das Herz zerriss. Ein sehr starker Schmerz in der Brustgegend, so als ob ihn ein Herzinfarkt ereilt hätte ......
Ich denke, dass dies viele Menschen nachvollziehen können, die Ähnliches erlebt haben.
Das Herz ist unser zentrales Organ, das für unseren Kreislauf zuständig ist. Ohne Herz sind wir nicht lebensfähig. Und das Herz steht auch für unser emotionales Erleben: Worte wie "herzensgut", "herzlich", "herzerfrischend", "herzzerreißend" oder "herzwärmend" betonen die zentrale Bedeutung des Herzens in unserem Gefühlsleben.
Auch wenn medizinisch kein besorgniserregender Befund erkennbar ist, so kann ein stark trauernder Mensch am Herzen schwer leiden. Die Folgen haben wir in Büchern und Spielfilmen oft genug gesehen: diese Menschen tragen schwer am Schicksal und sie leiden übermäßig, mit oft schweren körperlichen Folgen.
Ein Herz braucht Zeit zur Heilung. Es ist, als wäre im Puzzle ein zentrales Teil raus gebrochen. Dieses ist nicht einfach zu ersetzen, weder zu kaufen noch schnell zu basteln. Dieses Teil passte perfekt an seinen Platz und es braucht Zeit, bis ein anderes Teil - oder mehrere kleinere Teile - diesen Platz einnehmen und das Puzzle wieder vollständig werden lassen.
Ich habe bei zwei meiner Klienten erlebt, wie das fehlende Puzzleteil innerhalb eines Jahres fast perfekt ersetzt werden konnte: ein neuer Partner kam ins Leben. Es ist möglich, immer wieder. Aber manchmal dauert es länger und es braucht mehrere Anläufe und Versuche, bis der fehlende Platz ausgefüllt ist.
Was wir immer tun können: wir können unser eigenes Herz wahrnehmen, streicheln und stärken. Dies mache ich zum Beispiel jeden Morgen, in Gedanken und mit meinen Händen in Form einer Herzmeditation. Es ist eines der schönsten Dinge, die ich mir selbst antue - ich will es in meinem Alltag nicht mehr missen. Wer Interesse hat: es gibt im Internet einige Angebote oder auch gerne bei mir.
Das Motto meiner Wanderungen für Menschen in Trauer heißt: "Mit der Trauer unterwegs sein".
Wenn große Trauer auf uns zukommt und unser Leben bestimmt, dann kann man dies als Belastung sehen, als Herausforderung, als ungnädiges Schicksal oder als Bedrohung. Eine solche Einstellung ist völlig normal - denn Trauer ist für viele neu, ungewohnt und macht Angst.
Ich hatte meine inneren Kämpfe mit meiner Trauer. Ich wollte sie nicht haben. Aber mehr und mehr wurde mir klar, dass dies ein nicht zu erfüllender Wunsch ist. Die Trauer war mit mir, und ich mit ihr. Wir schienen irgendwie verbunden zu sein, zumindest für eine unbestimmte Zeit.
Irgendwann habe ich angefangen, meine Trauer als Begleiterin zu sehen. Trauer als Begleiterin? Ja, so komisch es klingt, aber damit ging es mir entscheidend besser. Als ich die Trauer als Begleiterin akzeptierte, musste ich sie nicht mehr los werden. Sie durfte mit mir sein. Sie durfte mich begleiten. Manchmal war es so, als ob mich die Trauer stärkte, allein dadurch, dass sie bei mir war und bei mir sein durfte.
Heute bin ab und zu noch mit meiner Trauer unterwegs. Sie ist mir eine gute Weggefährtin geworden - im kraftvollen und stärkenden Sinne.
Papierboot im Kehrwasser
Immer wieder im Leben geraten wir in Strudel. Das Bild symbolisiert dies sehr eindrücklich. Die Wirrnisse des Lebens, unser Schicksal, die Umstände - sie reißen uns mit und manchmal fällt es schwer, den Kopf oben zu halten.
In der Trauerzeit geraten wir oft in Stromschnellen und Strömungen, die uns bisher unbekannt waren. Manchmal scheint es, als entkämen wir dem schnellen Fluss der Zeit nicht mehr. Wir werden unter gespült, mit gezogen, rein gezogen, ohne Chance auf Erholung.
Wie gut, dass ab und zu kleine Buchten auftauchen am Rande des Wegs. In der Sprache der Kanuten und Paddler heißen diese "Kehrwasser". Dort besteht keine gefährliche Strömung, im Gegenteil: das Wasser bewegt sich sogar entgegen der Strömungsrichtung des Flusses. In diesen Kehrwassern kann man sich erholen, klaren Kopf kriegen, durchschnaufen und dem schnellen Leben zuschauen.
Für Menschen in Trauer sind solche Kehrwasser sehr wichtig: sie stellen die so wichtigen Erholungsräume dar, in denen die Zeit mal still stehen darf. Wenn ich bereit und erholt bin, wage ich mich dann wieder in die Flussmitte. Bis zum nächsten Kehrwasser .....
Wintermorgen
Ein Wintermorgen: gefrorener Boden, kahle Bäume, die aufgehende Sonne am Horizont. Nebelschwaden verhüllen den Blick auf die Baumgruppe, die angrenzenden Felder und dahinterliegenden Berge.
Es ist wie bei jedem Anfang eines neuen Lebensabschnittes, eines neuen Jahres, eines großen Projekts: ich sehe die nächsten Schritte, ich brauche Licht hierbei, und einiges in der Ferne liegt noch im Bereich des Unsichtbaren. Diesen Teil kann ich erahnen, und mit Hoffnung und Vorfreude versehen, vielleicht schwingen auch Vorsicht und Neugier mit.
Wenn ein geliebter Mensch stirbt, ist das nicht anders: wir stehen vor einer völlig neuen Situation. Mancher nächster Schritt mag klar sein oder zu organisieren sein. Dinge, die mittel- und langfristig auf mich zukommen, bleiben noch verhüllt. Wie ist das mit den Finanzen, mit dem Erbe, hält mein Freundeskreis, kann ich in der Wohnung wohnen bleiben, bin ich dem Alltag wirklich gewachsen, kriege ich das mit dem Haushalt (oder der Steuererklärung, etc.) hin? Und so weiter. Es sind Fragen, die sich mittelfristig klären. Doch die entscheidendere Frage ist: kann ich mit der Unklarheit (bis zur Klärung) leben? Vertraue ich dem Leben und darauf, dass sich alles im Guten löst? Oder entwickele ich Angst vor der Zukunft und lasse mich von den Sorgen überrollen?
In diesen Situationen hat es mir immer geholfen, mir vor Augen zu halten, welche anderen großen Neuanfänge ich in meinem Leben bereits gemeistert habe. Jede*r hat solche Dinge gemeistert, von Kindesbeinen an. Das gibt mir Mut, auch diese neue Situation ohne meinen geliebten Menschen zu meistern - auch wenn vieles in der Zukunft noch unklar ist. Ich werde es schaffen, Schritt für Schritt.
Waldrebe mit Feuerdorn
Die in dem Bild gezeigten Pflanzen nahm ich bei einem meiner letzten Spaziergänge auf: eine Waldrebe, kombiniert mit einem Feuerdorn. Mich faszinierte die Gleichzeitigkeit von Farblosigkeit und Farbenfreude. Ganz untypisch für den Winter, dachte ich, ist er doch gerne farblos, trüb, nasskalt. Doch beim Nachdenken fiel mir auf, dass es auch andere Outdoor-Pflanzen gibt, die im Winter farbig sind: die Stechpalme zum Beispiel, der Apfeldorn, der Hartriegel, das Pfaffenhütchen oder der Winterjasmin. Und nicht zu vergessen die immergrünen Nadelbäume. So ganz farblos ist es also im Winter bei weitem nicht – die Natur sorgt automatisch für farbliche Abwechslung.
Gerne neigen wir dazu, unsere Welt negativer zu betrachten als sie ist. Wer täglich Nachrichten im Fernsehen sieht, weiß was ich meine: 80 – 90% der Nachrichten sind negativer Art, rufen Sorgen auf, schildern Nöte und Missstände. Positives und Aufmunterndes hat oft wenig Platz.
Wenn ich auf mein Leben blicke, ist manches wirklich gut gelaufen, anderes vielleicht sehr schlecht. Wer einen lieben Menschen verloren hat, dem wird die Zeit seit dem Verlust als sehr schmerzhaft erscheinen. Es überstrahlt das Leben mit einer traurigen Note, einem trostlosen Schleier. Trost scheint die Schwere des Lebens kaum aufwiegen zu können. Und dennoch dürfen immer wieder die Erfahrung machen: es gibt Dinge, die positiv waren und mir beim Nachdenken nicht sofort einfallen. Dinge, die inmitten großer Not plötzlich als Stütze da standen. Freundliche und nährende Begegnungen, mit denen ich nie gerechnet hätte. Glückliche Zufälle, die mir so gut taten und die wie aus dem Nichts auftauchten.
Das kann versöhnen mit dem schweren Schicksal. Ich meine damit nicht, das Alte und Erlebte wegzuwischen oder klein zu reden. Ich meine, inmitten des Farblosen und Traurigen das – vielleicht auch – sehr kleine Farbige und Lebendige (wieder) zu entdecken…. wie im Winter. Das wünsche ich uns allen.
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Ich kannte das aus meiner eigenen Kindheit und Jugendzeit und habe dies später mit meiner Frau und meinen Kindern zelebriert: die Adventszeit. Frühe Dunkelheit, Kerzen, ein Adventskalender mit kleinen Aufmerksamkeiten, der Adventskranz, auf dem mit jedem Adventssonntag eine weitere Kerze angezündet wurde. Dazu leckeres Weihnachtsgebäck und leuchtende Kinderaugen. Kurzum eine Zeit, die wirklich besonders war.
Mit dem Tod meiner Frau war es schwierig für mich, diesen Zauber aufrecht zu erhalten. Um nicht zu sagen: es gelang mir seither nicht mehr. Und trotz der Hilfe und des Einsatzes meiner Kinder haben wir den Reiz dieser Zeit nicht wieder herstellen können. Weder habe ich das Händchen fürs Gestalten noch die Lust dazu. Es scheint mir, als wäre mit dem Tod meiner Frau auch die Besonderheit dieser Adventszeit und die Vorfreude auf Weihnachten weggefallen.
Wenn ich mit Trauernden spreche, so geht es den vielen ähnlich. Es ist, als wäre eine wichtige Tradition, verbunden mit besonderen Ritualen, weg gebrochen.
Die Frage, die ich mir oft stellte, war: kriege ich diese Besonderheit je wieder hin?
Meine Antwort darauf heißt: ich weiß es nicht. Und: ich weiß nicht, ob es Sinn macht, es wieder "hin zu kriegen".
Man sagt: "jede Zeit hat seine eigenen Vorzeichen". Ich habe mich damit abgefunden, dass es eine sehr schöne Adventszeit einmal gab und dass es jetzt eine andere Zeit gibt. Diese neue Zeit kann ich ebenso gestalten, vielleicht anders, und ganz sicher auch schön und besonders.
In diesem Jahr gibt es bei uns wenig Schmuck und zum ersten Mal keinen Weihnachtsbaum. Was für ein Stilbruch! :) Stattdessen gibt es Advents-Glühwein mit Freunden und Verwandten, Zeit für jedes einzelne der drei Kinder und eine geplante Koch-Session mit meinen Kindern am Heiligabend.
Ich freue mich sehr darauf. Es ist eine neue Zeit, mit neuen Vorzeichen und auch neuen Chancen. Ich will diese Chancen nutzen, im Positiven und im Guten. Genau das hätte sich auch meine Frau gewünscht.
Wurzelwerk eines Großen Feigenbaums
Wenn wir in der Natur unterwegs sind, sehen wir Pflanzen, wie zum Beispiel Bäume, meist nur oberirdisch. Selten sehen wir deren Wurzeln und Wurzelwerk - wie auf diesem Bild - welche die Bäume verankern und ihnen bei aufziehenden Stürmen Stabilität verleihen. Baumwurzeln gehen als Tiefwurzler bis zu 7 Meter in die Tiefe und als Flachwurzler mehrere Meter ringsherum in die Fläche. Und es gibt Mischungen von Flach- und Tiefwurzeln.
Bei uns Menschen ist dies nicht anders. Auch wir sind gezwungen, uns gut zu verankern. Stürme kommen bei uns auch, allerdings nicht in Form von Winden, sondern in Form von Schicksalsschlägen wie Verlusten von lieben Menschen, Arbeit, Geld, Haus/Wohnung oder Lebensträumen. Je besser ich verwurzelt bin, desto besser kann ich standhalten.
Was können Wurzeln bei uns konkret sein?
Eine tiefe Wurzel könnte für eine konkrete, feste Verankerung, zum Beispiel im Glauben stehen. Oder für meinen Wohnort, den ich mir heimelig und liebevoll einrichte.
Eine flache Verwurzelung, also nach allen Seiten mit vielen Wurzelsträngen, könnte ein breites Ausrichten darstellen: Freundeskreis(e), Hobbies, vielfältige Interessen, Job(s), Ehrenamt, Körpererfahrung, Naturerleben.
Egal, wie ich mich verwurzele, es liegt an mir selbst, dafür zu sorgen, dass die Wurzeln schlagen, Platz für Entfaltung haben und genügend Nährstoffe zum Wachstum haben. Ich muss meinen Wurzeln Zeit widmen, ihnen regelmäßig Raum geben und sie pflegen: meine Spiritualität, meine Freunde, meine Hobbies, meine körperliche Fitness, meine Arbeit(en). Dann stehe ich stabil(er), wenn ein Sturm aufkommt. Er kann mir wenig(er) anhaben.
Nach dem Tod einer/s engen Angehörigen, eines lieben Freundes, eines geliebten Haustiers oder bei einem sonstigen, einschneidenen Verlust reagiert unser Organismus mit Trauer. Das ist völlig normal und in grundsätzlich auch gesund. Unser Körper verarbeitet in einer Trauerphase den Verlust auf die für ihn bestmögliche Weise und Geschwindigkeit.
Nun kann sich der Ausdruck der Trauer, deren Dauer und Ausdruck von Mensch zu Mensch unterscheiden. Es gibt hier kein Richtig oder Falsch, sondern nur einen individuellen Weg, den ich als trauernder Mensch auch mit beeinflussen kann.
Meine Beobachtung ist, dass Gefühle in der Trauer unterschiedlich hervor treten:
Zum einen gibt es die starken Gefühle wie plötzlicher Schmerz oder starke Verzweiflung, welche spontan auftreten, ohne konkreten, sichtbaren Auslöser. Sie überrollen den trauernden Menschen wie eine unerwartete Welle. Vor allem in der Anfangszeit nach dem Verlust sind diese spontan auftretenden Gefühle häufig zu beobachten.
Zum anderen gibt es die durch Gedanken beeinflussten Gefühle. Das heißt: einem Gefühl geht ein bestimmter Gedanke voraus. In der Trauer erleben Menschen starke Gefühle wie Hoffnungslosigkeit, Ausgeschlossenheit, Unsicherheit, Angst, Ohnmacht, Sinnlosigkeit, Überforderung, usw., welche durch konkrete Gedanken ausgelöst werden. Meist verläuft dieser Prozess für uns Menschen unbewusst.
Ich gebe ein Beispiel dazu: Neulich sprach ich mit zwei Männern über das Thema Urlaub. Beide erzählten von ihren tollen Urlauben, die sie mit ihren bereits verstorbenen Lebenspartnerinnen erlebt hatten. Der erste Mann brach in Tränen aus, als er erzählte und betonte, wie sehr er daran leide, dass solche, gemeinsamen Urlaube nicht mehr möglich seien. (Ich konnte das sehr gut nachvollziehen, mir ging es ähnlich nach dem Tod meiner Frau). Der zweite Mann lächelte über beide Ohren, als er von den Urlauben erzählte und war so glücklich darüber, dass er diese gemeinsam mit seiner Frau erleben durfte.
Es ging also in beiden Fällen um das Thema Urlaub, doch gab es dazu zwei gegenteilige Sichtweisen und Reaktionen dazu. Wie kann das sein?
Es war die Bewertung des Geschehenen, die beide Männer - wahrscheinlich unwissend - vorgenommen hatten. Eine Bewertung durch Gedanken. Während beim ersten Mann der Verlust und die Nicht-Wiederholbarkeit des gemeinsamen Urlaubs im Vordergrund standen, war es beim zweiten Mann die Dankbarkeit über die gemeinsam erlebten Urlaube.
Wie unser Verstand funktioniert:
Gedanken durchwandern unseren Geist wie Wolken am Himmel, in jeder Minute, in jeder Sekunde. Sie sind weder zu kontrollieren noch zu beeinflussen. Was mir als Mensch mit meinem Intellekt jedoch zur Verfügung gestellt wurde, ist die Fähigkeit, zu selektieren.
Der Mystiker Sydney Banks sagte. „Wie können wir negative, unerwünschte Gedanken davon abhalten, in unsere Köpfe einzutreten? Wir können es nicht. Sie kommen zu schnell und wenn du es versuchst, wirst du schnell feststellen, dass du auf dem Holzweg bist. Was du jedoch tun kannst, ist, zu erkennen, dass deine Gedanken keine eigene Kraft besitzen, sondern nur die Kraft, die du ihnen verleihst. Wenn du sehen kannst, dass es nur Gedanken sind, und du dich weigerst, ihnen Leben einzuhauchen, werden sie harmlos sein“.
Das bedeutet: Gedanken der Traurigkeit, des Kummers oder Unzufriedenheit haben keine eigene Bedeutung, es sei denn, wir schreiben ihnen eine solche zu. Alle Gedanken, die keine Bedeutung haben, kommen und gehen ungehindert, ohne dass sie einen größeren Einfluss auf uns haben. Es ist, als würde ich sie nicht verstehen oder nicht sehen. Die Gedanken jedoch, die mir wichtig sind, bleiben (zeitweise) bei mir und können meine aktuellen Erfahrungen prägen, im positiven wie auch im negativen Sinne.
Beide Männer im obigen Beispiel haben in der beschriebenen Situation völlig logisch und sinnhaft reagiert. Der einzige Unterschied ist, worauf sich die beiden Männer beim Erzählen in ihren Gedanken konzentriert haben, also wie sie ihre (vielen) Gedanken selektiert haben. Beim ersten Mann war der Gedanke „Ich kann das nie wieder erleben“ hängen geblieben, beim zweiten Mann der Gedanke „Ich bin dankbar“.
Dass beide Männer unterschiedlich reagierten, liegt einzig und allein an der Gedankenselektion im Augenblick. Denn es könnte sein, dass 30 Minuten später jeder der beiden konträr zu davor reagiert hätte. Denn unser persönliches Erleben (durch Gedanken iniitiert) hat eine ständig wechselnde Natur und dadurch ist das, was wir sehen und fühlen, nicht konstant, sondern wechselnd. Man kann z. B. morgens aufwachen und erfreut sagen: „Das ist ein wunderbarer Tag!“ und kurz danach beim Anblick der ersten Wolke schlecht gelaunt ausrufen: „ich hasse dieses Wetter!“
Anders gesagt: Das, was ich erlebe, ist nicht real in sich selbst, sondern eine (durch meine Gedanken) ständig neu erfundene Version der Realität.
Was bedeutet das für meine Trauer und den Umgang mit ihr?
Trauer ist kein fester Zustand, sondern eine stets für mich logische, konsequente und nachvollziehbare Erfahrung. Sie ist wichtig, damit ich heil bleibe und es ist hilfreich, ihr einen Ausdrucksraum zu geben.
Im Erleben von Trauer spielen Gedanken eine wichtige Rolle. Sie sind stets da (auch wenn ich mir dessen nicht immer bewusst bin) und sie beeinflussen meine Gefühle unmittelbar. Diese Gefühle kann ich weder kontrollieren, noch brauche ich sie zu beurteilen. Sie sind einfach da – wechselnd, heiter, betrübt, besorgt, freudig. Sie kommen und gehen, wie Wolken am Himmel.
Je natürlicher ich als trauernder Mensch das natürliche Kommen und Gehen von Gefühlen akzeptiere und ihnen nicht zu viel Bedeutung zumesse, desto mehr kann ich mich in einen Zustand der Entspannung hineinfallen lassen. Ich kann meine Gefühle zulassen, ohne Angst zu haben, dass sie mich verschlucken. Ich kann mich dadurch (tief) wohler und geborgen fühlen, auch wenn ich mich vielleicht augenblicklich unwohl fühle.
Der oben zitierte Sydney Banks sagte einmal:
„Wenn die Menschen nur lernen würden, keine Angst vor ihrem Erleben zu haben ……. das allein würde die Welt verändern.“
In unserer heutigen Kultur steht die Eule für Weisheit. Auch bei den Griechen und Römern war der Kauz das Symbol für Weisheit. Die Indianer Nordamerikas betrachten die Eule als weise und sprachen ihr die Fähigkeit zu, Zukünftiges vorauszuahnen.
Da die Eule in der Dunkelheit gut sehen kann, wurde lange Zeit angenommen, dass sie mit seinen Augen Licht erzeugen kann und dieses durch die Augen nach außen dringt. Hier entstand eine Verbindung zum Licht der Weisheit, der einer weiser Mensch aus sich selbst schöpft - eine Übertragung auf die Eulenvögel lag nahe.
Neben der Bedeutung als Weisheitsvogel ist die Eule bei den alten Ägypter ein Vogel der Finsternis und des Todes. Diese Bedeutung findet sich auch in der sumerisch-babylonischen Kultur, in der chinesischen und japanischen Tradition, bei den Etruskern und Mexikanern.
Ob Weisheit, Tod oder Dunkelheit: ich finde, dass die Eule ein besonderer Vogel ist und mich immer wieder fasziniert. Ihre Ruhe und Empfindsamkeit gegenüber Störungen ist bezeichnend. Sie lädt mich immer wieder ein, besinnlich zu werden und nach innen zu schauen, wo ich meine Intuition und Weisheit finde.
Schlussendlich ist meine innere Weisheit das, was mich effektiv und effizient leitet und der ich stets vertrauen kann. Ich finde sie nicht im Außen. Doch gebe ich ihr den großen, inneren Raum der Ruhe, dann kann ich mich ohne Anstrengung vertrauensvoll führen lassen.
Ich erinnere mich an die Geschichte des brennende Dornbusch - Gott erteilt auf dem Berge Horeb dem Mose den Auftrag, das Volk Israel aus Ägypten zu führen. Auf Moses Frage hin teilt ihm Gott dort auch seinen Namen JHWH mit.
Feuer hat etwas Magisches, Erdendes, Energetisierendes und Verwandelndes. Immer wieder bin ich begeistert von der geballten Kraft, die sich in Hitze, in Lodern und Knistern äußert.
Ich liebe Rituale mit Feuer: Erinnerungen, Worte, Wünsche, Sorgen oder Hoffnungen werden dem Feuer übergeben. Sie verpuffen nicht einfach, nein. Stattdessen entstehen Flammen, Hitze, Energie und schlussendlich eine wertvolle, fruchtbare Asche. Diese bildet den Nährboden für Neues, für die verwandelte Energie.
Die Redewendung "wie Phönix aus der Asche" beschreibt den Neuanfang nach einem großen Verlust und steht in ihrer Bedeutung für Auferstehung, das Wissen über den Tod und das ewige Leben.
Eine Teilnehmerin in einem meiner letzten Seminare sagte: "Ich fühle mich so, als hätte man mir einen Teil meines Selbst raus gerissen, als mein Mann starb."
Ein wichtiger Teil im Leben ist weg gebrochen, ja, aus dem Leben raus gerissen worden. Dies passiert oft bei plötzlichen Toden, auf die man sich nicht vorbereiten konnte. Gewachsene Strukturen, auf die man sich eingestellt hat oder die man entwickelt hat, greifen dann nicht mehr: die Partnerin als emotionale Stütze fehlt, oder der in Finanzdingen versierte Mann, der Opa kann Enkel nicht mehr begrüßen, der Vater als Ratgeber und wohlmeinender Begleiter wäre jetzt so wichtig.
Es fühlt sich wie ein Bruch, ein Riss, wie eine kleine Katastrophe an. Es wird nicht mehr so sein, wie zuvor - so langsam wird es klarer und es tut unendlich weh. Der zersplitterte Baum als Sinnbild - er wird nicht mehr heilen.
Der Enkelsohn der oben genannten Teilnehmerin sagte zu ihr: "Oma, wir pflanzen einen Baum für Opa".
Manchmal sind Worte von Kindern wie tiefe Weisheit. Das Enkelkind hat dies in schöpferischen Worten benannt: es geht nur mit Neuanfang. Jeglicher Versuch, die alte Situation mit Gewalt wiederherzustellen, misslingt. Aber der Neuanfang ist ein vielversprechender Versuch ....... auch wenn er Zeit, Mühe und Pflege kostet.
Ich warte auf meinen Partner, der mich in den Arm nimmt. Wo ist das wunderbare Essen, das meine verstorbene Frau auf den Tisch zauberte? Warum höre ich nicht mehr die einzigartige, kraftvolle Stimme meiner Tochter am Telefon? Es war so schön, mit meinem verstorbenen Kollegen in der Teeküche einen Kaffee zu trinken .......
Zeiten, die einmal waren. Zeiten, die genau so nicht wieder kommen. Es ist Zeit für neue Rituale, für neue Schönheiten des Alltags, für neue herzerwärmende Erlebnisse.Nur wie?
Oft habe ich erlebt, dass wie aus dem "Off" etwas Neues, unerwartet Schönes und Tragfähiges kam: ein Brief einer Schulfreundin, eine regelmäßige Einladung zum Fußballabend durch einen Kollegen, ein Grillfest im Garten der Nachbarn, etc. Und ich lernte: auch ich selbst muss mich verwöhnen, mit gutem Essen, einem leckeren Kaffee, einem kurzen Wellness-Urlaub .....
Es war so anders als früher und anders als erwartet - aber es kam. Und oft kam es in Momenten, in denen ich es nicht erwartete. Ich öffnete mich immer mehr, und seither sehe ich sie wieder: die vielen Gelegenheiten zu Verwöhn-Stunden im Alltag. Ich habe mir fest vorgenommen, sie mehr als früher zu nutzen .......
Der Weg durch ein Labyrinth führt in Windungen und Wendungen um die Mitte, nähert sich ihr an, entfernt sich wieder, bis wir schließlich das Zentrum erreichen.
Ich mag dieses uralte Symbol und Urform, die fast überall auf der Welt gefunden wurden.
In der Trauer geht es schließlich um nichts anderes: einen Weg gehen, einfach gehen, laufen und immer wieder Vertrauen haben, dass der Weg in etwas "Gutem" endet. Manchmal wähnt man sich dem eigenen Glück und Wohlgefühl näher, dann entfernt man sich wieder und eine Durststrecke schließt sich an. Aber Stück für Stück, fast unmerklich, und zweifellos führt dieser Weg dann zu meiner "Mitte", "Heimat", "mir selbst", oder wie immer man dieses Gefühl auch nennen mag. Ein Nachhause-Kommen, in dem ich mich mit mir selbst und dem Allumfassenden verbunden fühle .......
Japanische Kirsche vor meinem Arbeitszimmer
In diesem kühleren Frühjahr 2021 kam der Genuss etwas später: der Anblick der Japanischen Kirche vor dem Fenster meines Arbeitszimmers: sie beginnt bei wärmeren Frühlingstagen üppig zu blühen und entfaltet ihre Pracht dann für wenige Tage. Ich genieße es, wenn die Kirsche fast in mein Zimmer hinein ragt und mich schon morgens mit ihren Blüten begrüßt.....
Im Gegensatz zur heimischen Kirsche trägt die Japanische Kirsche keine essbaren Früchte. Sie kommt überwiegend in Japan vor und ist bei dem japanischen Brauchtum – Hanami - „Blütensehen“ mit dem Kirschblütenfest einige Tage ganz im Mittelpunkt allgemeiner Aufmerksamkeit. Sakura, die Kirsche, ist nationales Symbol der Japaner. Das Vergehen der Blüten auf ihrem Höhepunkt wird mit jungen Kriegern oder Samurai verglichen: weil sie ohne zu zögern lautlos und rein fallen, noch bevor sie verwelken, sieht der Japaner in ihnen ein Symbol japanischer Mannestugend. Auch ein Samurai musste klaglos sein Leben hingeben.
Wer den Film „Kirschblüten“ (aus dem Jahr 2007, mit Elmar Wepper und Hannelore Elsner) mal gesehen hat, kann die japanische Kultur im Rahmen einer berührenden und tragikomischen Liebesgeschichte erleben: ein Witwer beginnt das Leben mit neuen Augen zu sehen und reist von Deutschland nach Japan, um die unerfüllten Träume seiner Frau zu finden. Bewegend und sehenswert!
Ich stehe mitten im Bach. Das Wasser umspült meine Wanderschuhe. Ich genieße das Empfinden, trockene Füsse zu bewahren und dem kalten Wasser trotzen zu können und zugleich Teil dieses Bachbettes zu sein.
Nach einen längeren Regenguss wäre ein solches Bild nicht vorstellbar. Wassermassen würden durch diese kleine Schlucht rasen, ich müsste schauen, dass ich Land und Höhe gewinne.
In ruhigen Zeiten sind solche Wasserläufe ungefährlich. Ich kann sie genießen und eintauchen in die Schönheit.
In unruhigen Zeiten - wie nach großen Schicksalsschlägen oder in großer Trauer - können dieselben Wasserläufe mich in ungeahnte schwierige Situationen bringen. Es ist ähnlich der brachialen Gefühle, die in der Trauerzeit manchmal auftreten.
Um der Gefahr der Wucht des Wassers und ggf. mitgerissener Gegenstände zu entgehen, trete ich aus dem Bachbett aus und schaue lieber als entfernter Beobachter zu. Ich schaue aus der Haltung und Gewissheit zu, dass alles, auch das Neue und Wütige, vorbei zieht und mich nicht gefährden kann, sofern ich mich nicht hinein ziehen lasse.
Die Wogen der Trauer kann ich ebenso an mir vorbei ziehen lassen. Ich muss nicht in alles eintauchen. Stattdessen schaue ich zu und bleibe ruhig - alles geht vorbei, schneller oder langsamer und beruhigt sich nach gewisser Zeit. Dann kann ich wieder ins Bachbett hinab gehen und das Leben in Ruhe um meine Füße fließen lassen.
Ein Tag im Winter: die Bäume sind kahl, der Blick unverstellt auf die Landschaft.
Manchmal hätte ich mir in meiner Trauerzeit auch einen freien Blick gewünscht. Oft schien mir, alles wäre vieles nur dicht, trübe, neblig, wie eine Wand. Meine Freunde und meine Familie zählten mir auf, was trotz des Todes meiner Frau alles gut liefe, die Kinder sich gut entwickeln würden, etc.. Manchmal konnte ich das auch sehen, aber zu anderen Zeitpunkten kam ich aus meinem verstellten Blick nicht raus. Doch fast unmerklich zog ich Menschen an, die mir die positiven Seiten des Lebens aufzeigten. Es tat so gut, Zuspruch und Lob zu hören, obwohl ich es manchmal oberflächlich und nicht ganz zutreffend fand. Aber: es tat gut. Und mit der Zeit, ganz allmählich und ganz sanft, wurde der Blick klarer: ich konnte wieder das Gute im Leben, das Licht am Himmel immer mehr sehen. Ich bin so dankbar um die Menschen, die mir in diesen schwerer Zeiten fast gebetsmühlenartig gut zuredeten.
Beim Vorbeilaufen habe ich mich gefragt, ob ich mich mit ruhigem Herzen auf die Bank unter diesem Baum setzen möchte. Etwas mulmig wäre mir schon dabei, wenn ich mir überlege, wie viele hundert oder tausend Kilogramm Baum- und Steinmasse in ausgehöhlter Form über mir "schweben" würden. Doch offenbar hält das Konstrukt aus Baumwurzeln und ausgewaschenem Bundsandstein das Gewicht des Baums.
Ich erinnerte mich an die Zeit der tiefen Trauer, in der ich eine solche Last, wie hier in Form des Baums überhängendem Wurzelwerk, auf meinen Schultern spürte. Immer wieder fragte ich mich, wie lange ich den Schmerz, die alleinige Verantwortung für die Kinder und die Finanzen, die einsamen Entscheidungen und die dauernde Überlastung meines Körpers mit wenig Schlaf überstehen würde. Wenn würde ich überspült werden von der Last? Wäre eine Reha das richtige Mittel, um der Last zu entfliehen? Sollte ich mir Hilfe holen, und wenn ja, welche?
Nach den vielen Jahren seitdem habe ich 2 Sachen für mich erkannt: ich war resilienter und belastungsfähiger als ich dachte. Und: wenn ich auf die positiven Entwicklungen in meinem Leben (wieder) vertraue, geht vieles einfacher und ich entlaste mich damit selbst.
Ja, ich würde mich heute mit Vertrauen auf die Bank unter diesen Baum setzen.
Schneewechten in den Allgäuer Alpen
Bei der letzten Tour durchs Allgäu bin ich an einer Reihe von Schneewechten vorbei gelaufen. Abgesehen davon, dass sie nicht ganz ungefährlich sind, finde ich sie immer faszinierend. Im Grunde sind Wechten nichts anderes als verwehter und komprimierter Schnee, der sich auf der windabgewandten, oft steileren Seite eines Grates bildet. Der gebildete Wechtenkeil - als labile Schneeablagerung - ist dabei gerne Ursache für Lawinenabgänge.
In der Trauer erlebe ich - sinnbildlich gesprochen - manchmal ähnliche Szenen: es hat sich Trauer aufgestaut, sie "hängt gefährlich über" und nur die Kompaktheit und auch Eingefrorenheit hält sie scheinbar stabil. Taut der "Trauerblock" auf, so fließt die Trauer ab, aber sie kann ebenso unkontrolliert eine Flut an Emotionen auslösen. Dies wiederum kann Angst machen.
Es ist für uns Menschen so wichtig, unsere Gefühle wie Trauer, Angst, Sorgen, Wut, etc. immer wieder wahrzunehmen und fließen zu lassen. Eine Stauung und eine Komprimierung unserer Gefühle und deren plötzliche und überwältigende Entladung werden dadurch vermieden, zu unseren Gunsten und zu Gunsten anderer. Dies verlangt Bewusstsein dafür, aber auch Übung darin.
Jeden Monat ist Vollmond. Es ist eine besondere Zeit, in der helles Licht am sonst dunklen Nachthimmel herrscht. Es folgt die Zeit des abnehmenden Mondes, in der wir uns für die nächsten knapp 2 Wochen befinden.
In einer dunklen Zeit wie der Trauerzeit bin ich um jedes Licht froh, das mich führt und Sicherheit gibt. Wie der helle Mond, so kann ein netter Mensch, ein schönes Ambiente, ein erholsamer Tag im Schwimmbad, ein Treffen unter Freunden die Sonne herein bringen.
Derzeit machen uns die Corona-Einschränkungen manche Möglichkeit, Licht und Wärme zu spüren, einen Strich durch die Rechnung. Es ist, als ob der Mond nur mit halber Kraft am Nachthimmel scheinen würde oder durch Wolken verdeckt ist. Und dazu kommt bildlich, dass der Mond derzeit abnimmt und weniger Licht spendet.
Doch stimmt das?
Dass der Mond abnimmt, ist nur eine spezielle Perspektive auf den Mond von der Erde aus. Der Mond läuft in seiner 4-wöchigen Umlaufbahn um die Erde in einen Teilschatten, und an Neumond in einen Vollschatten der Erde. Doch der Mond ist de facto stets da – er läuft nicht weg oder entfernt sich. Er ist stets in seiner vollen Größe in der Umlaufbahn der Erde – nur der Blick auf ihn, mit Hilfe der Sonne, verändert sich.
Sonne, Mond, die Sterne sind stets um uns herum, sie bleiben. Was wir sehen, ist allerdings dynamisch: Tag, Nacht, die Sonne und der Mond bewegen sich unterschiedlich hell am Himmel.
Was heißt das für uns Trauernde?
Wir machen uns unser Weltbild anhand dessen, was wir sehen. Doch was wir sehen, ist nicht die ganze Wahrheit. Die Wahrheit ist viel umfassender, viel größer, und vor allem, immer da. Und so kommt mir immer wieder die Erkenntnis und Gewissheit: ich bin nie allein. Und ich bin mir sicher: meine verstorbene Frau ist auch stets bei mir. Aber meine Sinne lassen nur manchmal zu, dass ich sie wahrnehme.
Wie schade, denke ich …… ich sollte meiner engen Wahrnehmung nicht zu viel Glauben schenken.
Matthias Kopp Lebens- und Trauerbegleitung
Ich dachte früher oft darüber nach, wie mein Weg wohl aussehen würde. Ein Lebensweg – was wird er an Tollem und Erfolgreichem, an Glück und Freude bringen?
In jungen Jahren denkt man nicht an Leid, Trauer, Verlust, Sorgen. Doch in späteren Jahren ist der Lebensweg gezeichnet von manch unerwarteten Schicksalsschlägen.
Und trotzdem ist es unser eigener Weg. Das, was bleibt, ist unseren Weg bewusst zu gehen. Mutig. Nicht aufgebend. Schritt für Schritt. Denn der Weg bietet auch immer wieder Schönes, Unvorhergesehenes, Freudvolles, das man nicht erleben würde, wenn man den eigenen Weg nicht gehen würde.
Aurelius Augustinus sagt:
„Bedenke: Ein Stück des Weges liegt hinter dir, ein anderes Stück hast du noch vor dir.
Wenn du verweilst, dann nur, um dich zu stärken, aber nicht, um aufzugeben“
Diesen umgefallenen, entwurzelten Baum sah ich gestern auf einer Wanderung durch den weglosen Wald. Irgendwie fand ich diese Szene sinnbildlich für dieses Jahr 2020, in dem viele Menschen persönliche Krisen erlebten. Was erschwerend dazu kam, war, dass eine Krisenbewältigung in Gemeinschaft durch die Kontaktverbote deutlich erschwert wurde. Exemplarisch seien die Besuchseinschränkungen in Pflegeheimen, Krankenhäusern oder Hospizen genannt, vor allem bei Menschen, die vor dem Tod standen und von denen ein persönlicher Abschied durch die Besuchsverbote nicht möglich war.
Mir macht das Bild aber auch Mut. Der umgefallene Baum fällt mit der Spitze auf die andere Seite des tief eingeschnittenen Grabens, so als wolle er verbinden, neue Wege ermöglichen und sagen: "kommt rüber zu neuen Ufern".
Ich vertraue darauf, dass wir aus der jetzigen Krise mit anderen Perspektiven raus gehen und Neues mutig wagen. Ich vertraue darauf, dass wir selbst viele Ressourcen haben (mehr als wir denken), die uns in Trauer und Krisen dazu befähigen, diese zu durchstehen. Und ich vertraue darauf, dass wir in Gemeinschaft zu anderen Menschen und zum Göttlichen immer wieder die Hoffnung auf ein Weitergehen im Leben erneuern können.
Heute ist der 21.12. – Winteranfang. Ich könnte darüber schreiben, jedoch möchte ich euch eine andere Geschichte erzählen.
Ihr könnt euch vielleicht an den 21.12.2012 erinnern. Schon Monate im Voraus wurde der Weltuntergang vorher gesagt. Dies beruhte auf einem (von mehreren) Kalendern der Maya, der am 21.12.2012 endete, woraus geschlussfolgert wurde, dass die Maya damit auf das Ende der Welt hindeuten wollten.
Auch im Kino wurde dieses Ereignis apokalyptisch vor Augen geführt: im Endzeitspektakel „2012“ von Roland Emmerich stand der uralte Kalender der Maya im Mittelpunkt und Hollywood machte daraus das Ende der Welt.
Unser Sohn Julian, damals 16 Jahre alt, war mit seinen Schulfreunden fasziniert von diesem Spektakel. Er schrieb in großen Lettern das Wort „Weltuntergang“ in unseren Familienkalender am Tag 21.12.2012. Ich weiß noch gut, wie sich meine Frau gewaltig aufregte und echauffierte und verlangte, dass dieser Eintrag umgehend gelöscht würde (was dann auch getan wurde).
Ironischerweise und bezeichnenderweise starb meine Frau dann am 21.12.2012.
Ihr Tod kam – trotz der Gewissheit, dass er anstand – doch schnell und plötzlich. Es war für mich und meine 3 Kinder wie ein kleiner Weltuntergang. All die Träume von einer gemeinsamen Zukunft mit heranwachsenden und flügge werdenden Kindern, von einer schönen Oma-und-Opa-Zeit, mit unseren Reiseplänen – all das war schlagartig vorbei. Und das so zu uns passende Familienleben ebenso.
Mit den Jahren habe ich erkannt, dass die Welt doch nicht unter ging. Die alte Welt lebte nicht mehr so, wie sie war, aber in abgewandelter Weise weiter. Andere Welten haben sich mir offenbart, für die ich so dankbar bin. Sie haben mir so sehr neue und auch wunderschöne Aspekte des Lebens gezeigt.
Ich fragte mich heute: warum hat sich meine Frau damals so sehr über den Kalendereintrag aufgeregt und dessen Löschung verlangt? Angenommen, dass jeder eine Vorahnung von seinem eigenen Todeszeitpunkt hat, war diese Reaktion eine innere Weigerung, diesem Tag ins Auge zu schauen? Vielleicht. Aber vielleicht war es auch ihre kraftvolle Weigerung gegenüber dem Gedanken, dass die Welt untergehen würde. So nach dem Motto: „hört mit diesem Blödsinn auf! Auch wenn ich aus eurer Welt gehe: eure Welt geht weiter!“
Heute früh war ich mit meinen Kindern am Grab meiner verstorbenen Frau. Danach ging der älteste nahtlos zur Arbeit, die andere an den Studien-Schreibtisch und die dritte in den Online-Unterricht. Nichts mehr hätte mir aufzeigen können: deren Welt geht weiter. Sie machen ihre Erfahrungen in ihrer Welt – ohne die alte zu verleugnen.
Weltuntergänge, die Schicksalsschlägen folgen, haben auch immer Weltaufgänge als Folge. Ich wünsche euch, dass ihr eure Weltaufgänge immer aktiv erleben und mitgestalten könnt.
Langlaufloipe auf der Schwäbischen Alb
Skisport ist ein großes Hobby von mir. Meine Eltern sind schon früh mit uns Skifahren gegangen und in meiner Jugendzeit hat unser Vater mich und meinen Bruder in die "Geheimnisse" des Skitourengehens im Hochgebirge eingeführt. Die dort erlebte Freiheit und Eigenverantwortung haben mich sehr geprägt. Das Wilde und Freizügige, aber auch die Vorsicht und Weitsicht, die man an den Tag legen musste, waren faszinierend. Skifahren auf der Piste war seither immer nur zweite Wahl.
Beim Skilanglauf würde ich ebenso gerne querfeldein gehen. Doch ist dies sehr kraftzehrend und nervenaufreibend. Die gespurte Loipe bietet Halt, Führung und Geschwindigkeit. Wie mühsam ist dagegen das Selber-Spuren .....
Mich erinnert dies sehr an meinen Trauerweg. So klar mir von Anfang an war, dass ich diesen Weg selbst gehen musste, so sehr war ich um Führung und "ausgetretene Wege" froh: Menschen, die bereits vor mir den Weg gelaufen sind und mir eine gute Richtung und Führung geben konnten. Ich bin sehr dankbar, dass ich diese Menschen in meinem Leben getroffen habe.
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